Was muß die rechte Wählerschaft (ich denke jetzt nicht an eine publizistische Gegenöffentlichkeit, nicht an exponierte Politiker, nicht an Aktivisten, Trolle oder sonstige Figuren, die bewußt ihren Kopf hinhalten) sich an Schmähungen gefallen lassen?
Die ganz normale Hälfte der österreichischen Bevölkerung, das ganz normale Viertel der deutschen Bevölkerung, wofür darf man sie halten? Ich unterscheide vier Arten der Diffamierung, ihrem Klugheitsgrad und ihrer Hinterhältigkeit nach aufsteigend geordnet.
1.) Rechte sind verblendet.
2.) Rechte sind dumm.
3.) Rechte sind primitiv.
4.) Rechte sind geistesgestört.
Ad 1.) Diese Diffamierung ist das niederschwelligste Angebot der Medien an das dünkelhafte linke Publikum. Sie geht so: „Rechtspopulisten“ (eigentlich gibt es das Wort „Populisten“ gar nicht mehr ohne „Rechts“, es ist quasi so, wie ich als Kind dachte, „Bundeskanzlerhelmutkohl“ wäre ein einziges Wort), also „Rechtspopulisten“ haben das Volk verführt. „Populismus“ definiert Jan-Werner Müller in seinem Essay Was ist Populismus? so:
In einer halbwegs funktionierenden Demokratie ist es immer populistisch, wenn Demonstranten für sich beanspruchen, das Volk zu sein.
„Das Volk“ als Kollektivsingular ist also nimmer sagbar, außer man will „das Volk“ demagogisch aufhetzen für irgendeine „rechte“ Idee. Verblendet zu sein heißt aber immerhin, daß das Volk auch noch mal erlöst werden kann durch (eher selbsternannte) Aufklärer. Volksaufklärung macht auch vor staatlichen Organen nicht halt, es besteht akute Gefahr, daß auch sie verblendet sein könnten, warnt der heutige STANDARD (und platziert gleich mal zwei Denunziationsadressen gegen Rechts, die ich nicht verlinke):
Der wichtigste Punkt im Regierungsplan dürften aber „Sensibilisierungs- und Fortbildungsprogramme für Polizei, Staatsanwaltschaften und Gericht“ sein. Man erinnert sich an die Staatsanwältin, die die Bezeichnung von KZ-Häftlingen als „Landplage“ durchgehen ließ.
Verblendung als Diffamierung nimmt die rechten Wähler zwar nicht für voll, immerhin haben sie sich verführen, aufhetzen, aufwiegeln lassen, aber sie unterstellt ihnen keine charakterlichen oder menschlichen Defizite – verführbar ist schließlich jeder mal.
Ad 2.) Dummheit ist schon schlimmer als Unterstellung. Wer dumm ist, dem
hilft (man), indem man ihn fragt, ob er irgendwo dagegengerannt ist. Und dann drückt man ihm die „Kinderwelt von A bis Z“ in die Hand, damit er sich schlaumachen kann.
Das ist die Umgangsweise mit Hoferwählern, die im Falter (No. 26) von Klaus Nüchtern empfohlen wird. Interessant ist es schon, durch die Welt zu gehen und den eigenen IQ, den eigenen Doktoratsabschluß oder die eigene Publikationsliste zu kennen, rechts zu wählen und zu denken, und mit dem Dummheitsvorwurf konfrontiert zu sein. Es könnte sein, daß „Dummheit“ in Wirklichkeit nur bedeutet: der Gegenüber hat eine Ansicht oder ein Weltbild, das dem meinen nicht entspricht. Ging mir so mit dem Spruch: „Die FPÖ hat doch keine Lösungen!“ Doch, hat sie, nur nicht solche, die dem Sprecher passen. Dummheit kommt als Diffamierung gern zusammen mit dem Primitivitätsvorwurf.
Ad 3.) Besonders „rohe Männer“ sind in den Augen linker Intellektueller offenbar typische Rechte, siehe mein Beitrag zu Heinzlmaier und die rohen Männer. Wer rechts wählt, ist von Trieben gesteuert, von Testosteron, von archaischen Vorstellungen (Frauenbild! Autorität! Burschenschaften! Katholizismus! Stammtisch!). Für seine Biologie kann der Mann nichts, der arme. Und wenn rechte Männer sich auf diese berufen, heißt das in der Sprache der Diffamierung „Biologismus“. Über den Biologismus ist der Kulturalismus meilenweit erhaben, insofern Biologismus eine „soziale Konstruktion“ sei, sagen die Kulturalisten, Kulturalismus natürlich ebenfalls, während Kulturalismus dessen eingedenk sei, sei es der Biologismus nicht, stelle also eine primitive, unterkomplexe Weltsicht dar. Zum Primitivismusvorwurf gehört eng verwandt der Vorwurf des unterkomplexen Denkens. Die Moderne ist wie auch immer komplex verfaßt, und rechte Antworten auf die Moderne versprächen vereinfachend (siehe ad 1.) Dummheit) „Komplexitätsreduktionen“. Dazu bleibt zu sagen: Biologismus (oder ohne Diffamierungsunterton: biologischer Reduktionismus) ist eine verhältnismäßig schwierige (auch schwierig durchzuhaltende!) philosophische bzw. evolutionstheoretische Position. Und Komplexität reduzieren tun wir doch alle, sonst kämen wir nicht durch den Tag. Die Dummheitsunterstellung reduziert die Wahrnehmung des politischen Gegners jedenfalls außerordentlich.
„Pervers“ gehört auch noch in diese Schublade der Schmähungen (oder auch schon einen Zacken schärfer ad 4.). Dazu fand ich ein echt mieses Ding, ebenfalls im Falter No. 26, betreffend den britischen Ex-Premier David Cameron, der eher cuckservative als wirklich rechts ist. Der aber dennoch nicht verdient hat, daß der Journalist Brian Melican ihm ziemlich wortreich die Geschichte hinterherträgt, er habe als Initiationsritual seiner studentischen Verbindung als junger Mann seinen Penis in das Maul einer toten Sau stecken müssen, Unterton: so pervers sind die Konservativen, und *schenkelklopf*, jetzt gerade habe er ja nimmer solches Schwein. Es erübrigt sich zu erwähnen, auf wen die Perversionsunterstellung schließlich zurückfällt.
Ad 4.) Pathologisierung – die fieseste, hinterfotzigste, am schwersten zu widerlegende Diffamierung. Damit auch die klügste. Manchmal kommt sie in höchstem Maße dumm rüber:
Hoferwähler in den Arm nehmen und ihnen was von Liebe erzählen
wird dem 5/8erl-in-Ehr’n-Leadsänger Max Gaier zugeschrieben. Ähnlich rennt der alte Ärztesong, in dem es heißt
Deine Gewalt ist nur ein stummer Schrei nach Liebe, deine Springerstiefel sehnen sich nach Zärtlichkeit … Arschloch!
Zu wenig geliebt worden zu sein als Kind führt dieser Logik zufolge ins rechte Lager. Im öffentlichen Diskurs einer therapeutischen Gesellschaft ist man überaus offen für psychologische Herleitungen furchteinflößender Phänomene. Linke legen Rechte gern auf die Couch und diagnostizieren dann „Empathiedefizite“, „Angststörungen“, „Paranoia“, „Abstiegsängste“, „Xeno-, Homo- oder Islamophobie“. Versuche einer mal, im Gespräch mit einem linken Psychoanalytiker dessen Diagnose: „Du bist doch nur gefangen in einer Angstspirale!“ argumentativ ad hoc zu widerlegen, ohne sogleich mit „Abwehr, alles Abwehr!“ beschossen zu werden.
Empathiedefizite sind auch tricky: der Unterstellende tut meist leidend, verspürt die mangelnde Empathie des rechten Gegenübers schon schmerzlich am eigenen Leibe, rutscht dann auf dem slippery slope entlang („Du verachtest mich, wie du alle Fremden und alle Menschen verachtest, so eine fremdenverachtende und menschenverachtende Ideologie ist das, bald werdet ihr auch mich und meinesgleichen vernichten und ausrotten!“) um am Ende der Diffamierung mit seiner eigenen Empathiefähigkeit („Menschlichkeit, nur ein klein bißchen mehr Menschlichkeit und Herz!“) triumphal davon zu ziehen.
Richtig klug ist folgende Diffamierungsargumentation: Es sei ständig davon die Rede, daß man die „Ängste der Bevölkerung endlich ernstnehmen müsse“. Diese Ängste seien irrational und paranoid, und die therapeutische Gesellschaft begegne ihnen so, wie sie nun mal nicht umhin kann: verständnisvoll, zuhörend, pädagogisch. Damit würde rechtes Denken und vor allem in dieser pathologisierenden Sichtweise: rechtes Fühlen, gleichgestellt mit linkem Denken und Fühlen. Das dürfe man allerdings bloß nicht tun, argumentiert Clemens Setz in der ZEIT, Gleichberechtigung sei Anerkennung des – schließlich doch pathologischen – rechten Denkens (er schlägt so nebenbei eine Obergrenze für Rechtspopulisten vor). Man dürfe es nicht ernstnehmen, gerade weil es irrational und gestört sei. Setz geht dann rhetorisch auf sich selber und seine ja doch nur allzumenschlichen eigenen irrationalen Ängste zurück, um seine Überlegenheit (!) im Diffamierungsgestus zu präsentieren.
Ich erwarte von meinen Mitmenschen, dass sie sich überlegen, ironisch, ja sogar „elitär“ und nicht geduldig-pädagogisch gegenüber meinen irrationalen Ängsten verhalten. Ich habe solche ja immer wieder. Und ich hätte keine davon je überwunden oder abgeschüttelt, hätte man mich, aus welchen Gründen auch immer, „endlich einmal vollkommen ernst genommen“. Clemens J. Setz in der ZEIT
Zurückschimpfen? Zurückpathologisieren? Gegenunterstellungen?
Wahrscheinlich haben die Rechten weder den nötigen Durchblick, die nötige Intelligenz, die nötige Kultur, noch die nötige seelische Gesundheit, um das zu schaffen. Gottseidank.