In eigener Sache: sezession

Liebe kleine Leserschaft meines Blogs,

von mir erscheinen in Zukunft ungefähr wöchentlich Beiträge auf „sezession im Netz“ (ganz bald mit neuem Onlineauftritt). Das bedeutet, daß ich fauxelle nimmer so oft füttern kann, ich denke aber, daß je ein Beitrag auf sezession und fauxelle in der Woche realistisch sind. Alles andere wird von den Reaktionen der Leser, den Zuständen im Land und im Ausland, der Presseentwicklung und meiner freien Zeit abhängen.

Ich freue mich jedenfalls sehr, hoffe, daß Sie mir dorthin folgen, den ersten (noch Gast-)Beitrag zu Houellebecqs Frankfurter Rede finden Sie hier. Und wer bisher noch nicht wußte, wer ich bin, und das wichtig findet – der Text ist mit Klarnamen gezeichnet, wir Rechten sind ja „schamlos“ – darum geht es auch in dem Beitrag …

 

Habe Mangel an Versöhnung

Halte dich nicht auf mit Widerlegungen und Worten. Habe Mangel an Versöhnung, schließe die Tore, baue den Staat. (Gottfried Benn, Der neue Staat und die Intellektuellen, 1934)

Man traf sich im illustren Kreis zum Diskutieren: Wie kommt es zum Widerstreit zwischen linkem und rechtem Weltbild? Wie kann man ihn womöglich überwinden?

Die Diagnose ist die: Linke halten Rechte für böse, Rechte halten Linke für dumm (Martin Lichtmesz). Den kleinen Kreis moderierte ein Psychotherapeut, Systemiker. Systemiker haben den entscheidenen Vorteil der Beobachtung zweiter Ordnung: nie drinstecken und blinden Fleck haben, immer draufschauen und blinden Fleck sehen. Das macht sie als Familientherpeuten oft genial und treffsicher, weil sie Funktionen erkennen können, die verfeindete Figuren füreinander haben, ohne es zu wissen, weil sie Perspektiven switchen und die jeweiligen Seiten erkennen lassen können, was sie gut können und wo – nämlich im Können der Gegenseite – ihre Entwicklungsaufgabe liegt.

Für Familien genial. Für politische Szenen? Wir werden sehen.

Rechte halten sich und gelten für rational, Linke für emotional. Beziehungsohr und Sachohr mißverstehen sich notorisch. Rechte argumentieren amoralisch, Linke moralisch. Also so wird das nie etwas, wären sie ein Paar, müßten sie sich trennen oder zum Paartherapeuten gehen.

Was rät der Therapeut den Rechten, die sich da bei Kerzenschein versammelt haben? Mit Linken „offene, authentische, ehrliche Bindungen“ aufzubauen, sie als Menschen kennenzulernen. Dann und nur dann nämlich erkennen die Rechten, worin ihre Entwicklungsaufgabe liegt. Vernünftig und sachlich und abstrakt argumentieren können sie eh schon gut, es gilt, emotionale Botschaften zu senden. Nicht links zu werden, nur Potentiale erweitern: sowohl-als-auch werden.

Erster Schritt: emotionale Botschaften strategisch zu senden, weil man ihen z.B. mit Angst- und Schuldgefühlen ganz gut kommen kann. „Wollt Ihr daran Schuld sein, daß die Herkunftsländer der Flüchtlinge verarmen?“ „Heimat ist ein Menschenrecht aller Völker!“. Das ist politstrategisch zweifelsohne klug: die Linken hören und reden emotional, also muß man sie da abholen wo sie stehen, die Zielgruppe erweitern, die Leute womöglich rüberholen ins rechte Lager.

Nur – ist das offen, authentisch und ehrlich? Bevor man das, zweiter Schritt, schafft, muß man als Rechter an sich arbeiten, sich mit der eigenen Angst auseinandersetzen, dem eigenen „Schatten“, dann könne man, rät uns der Therapeut, nicht ohne Augenzwinkern, den „Feind als frohe Botschaft“ annehmen.

Und was passierte mit dieser Gruppe kluger, radikaler politischer Denker? Man erwog, angespornt durch die psychodidaktische Methode „Was könnten wir am falschesten machen, um zu unserem Ziel zu kommen?“, wie man den Gegenüber nimmer triggern sollte, wie man positive Visionen für die Rechte entwickeln, stärker „inklusiv, partizipativ und global“ denken könne. Remigration müsse aus der Motivation der Immigranten heraus gedacht werden, äußerte ein Aktivist, und auch die Idee des Therapeuten auf dem Handout, „aktive soziale Erlebnisräume“ mit Linken, von Tanz bis WGs zuzulassen, blieb unwidersprochen.

ICH LASSE MICH NICHT THERAPIEREN!

Das sei verständlich, allzu verständlich. Es könne in der Transformationsphase zur erweiterten Identität ein angstbesetztes Diffusionsgefühl (=gefühlter Kontrollverlust) entstehen.

ICH WILL MICH NICHT VERSÖHNEN!

Benn hielt 1934 eine Rundfunkansprache an die deutsche Jugend, der ich den Satz „Habe Mangel an Versöhnung“ auf Umwegen entnommen habe. Der Benn-Biograph Joachim Dyck beschreibt die Situation: für die Intelligenz der Weimarer Republik endete das Visionäre mit einer Villa, „ein Mercedes, das stillte ihren wertsetzenden Drang“ (Benn). Am Nationalsozialismus war für ihn 1934 schon der Lack angekratzt, er war für ihn aber noch der ersehnte „neue Staat“, den es eben gegen den liberalen Geschwätzparlamentarismus der Weimarer Republik tabula-rasa-ähnlich in Szene zu setzen galt. Der „Staat“, so betont Dyck, war 1933/34 auch zu denken gegen das anarchistische Wüten der SA im Straßenkampf.

Das ist der Kontext des versöhnungsverweigernden Zitats. Die gegenwärtige Rechte verzweifelt am Demokratieverständnis der Linken, ich auch, dazu morgen mehr. Die Linke hat ohnehin schon alle Hoffnung fahren lassen, einen herrschaftsfreien Diskurs mit der politischen Rechten auch nur zu imaginieren.

Nur, muß die Rechte deswegen in Therapie? Aus dem Blick des Systemikers gibt es da keinen Zweifel, hat er doch einiges Normative vorausgesetzt. Und damit – das will wohl der Teufel, Luhmanns Lieblingsbeobachter – einiges Linke. Das politische System müsse sich evolutionär durch zirkuläre Prozesse verbessern. „Entwicklungspotential“ heißt die Formel, ergänzt um „Konfliktkompetenz“ und“Visionsbildung“.

VERDAMMT NOCH MAL, ICH WILL EINEN FEIND BEHALTEN!

Carl Schmitt unterscheidet im „Begriff des Politischen“ fein zwischen „hostes“ und „inimicus“, und das Bibelwort „Liebet eure Feinde“ gilt für ihn natürlich nur sinnvollerweise für den persönlichen Feind, mit dem ich in Privatfehde, zerbrochener Freundschaft oder Rosenkrieg liege, den inimicus. Sich da, therapeutisch gesprochen, seinen Ängsten zu stellen um am Feind zu reifen zu authentischer Beziehung, ist recht und billig. Den hostes indes, den politischen Feind, sei es außen- (Nationen, Bündnisse) oder innenpolitisch (Parteien, Lager) zu „lieben“, ihm gegenüber verständnisvoll oder versöhnlich zu sein, ist in der politischen Logik (Freund/Feind, Macht/Ohmmacht) fatal. Dann hat er schlicht und ergreifend gewonnen. Zur Logik der politischen Feindschaft gehört auch, nicht als erster mit dieser aufzuhören, wohl glaubend, daß man damit den Code als solchen außer Kraft setzen kann und den Gegner entfeinden.

Ich halte mich auf mit Widerlegung und mit Worten. Aber nicht mit herrschaftsfreien, normativ-teleologischen, kommuniktionsermöglichenden. Ich schließe diese Tore.

ICH WILL NICHT! EGO NON.

Dann bleibt nur noch der unfreundliche politische Raum ästhetischer Erregung, und der ist der Linken derart wesensfremd, daß wir nimmer übersetzen können. Es ist auch und im wesentlichen ein Widerstreit der Pathosformeln.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Angstroman – ein Paradestück der Projektion

Der blaue Betriebsrat hatte beim Sommerfest bei der Erdbeerbowle durchblicken lassen, daß er die Frage der Autochthonie schon einmal ernst nehmen wolle und hatte eine Umfrage begonnen, wer von den Angestellten und den freien Mitarbeitern in der dritten Generation Österreicher sei und deshalb für den Bezug aller Sozialleistungen berechtigt wäre. Vronis Mutter hieß Manca und der blaue Betriebsrat erkundigte sich scherzend, was denn das für ein Name sei. Ein österreichischer Name sei das ja nun nicht und ob er sich für Vronis Mutter einsetzen solle, damit sie nicht in die Kategorie Ausländer gerate.

Die Schriftstellerin Marlene Streeruwitz veröffentlicht jeden Donnerstag ein neues Kapitel ihres Online-Romans „So wird das Leben“: http://www.marlenestreeruwitz.at/wahlkampfroman-2016-so-wird-das-leben-3-folge/ zur Bundespräsidentenwahl in Österreich.

Im STANDARD dieses Wochenendes konnte man die Motivation zum Verfassen dieses Romans in einem Interview lesen, obwohl die Motivation schon in dem Roman selber völlig durchsichtig und platt den Figuren in den Mund gelegt wird:

„Wenn dieser Höflein die Wahlen gewinnt. Der braucht nur sagen „Ich gelobe.“, und sein nächster Satz kann schon sein, „Ich entlasse die gesamte Regierung und löse den Nationalrat auf.“ Vroni mußte seufzen. Ging das wirklich so einfach. Sie konnte sich das nicht vorstellen. Es gab doch eine Verfassung, die genau das verhindern sollte. Österreich war doch ein demokratisches Land. Da konnte niemand so einfach die Volksvertretung auflösen. „Es ist sich sozusagen niemand im Klaren wie gefährlich unsere Situation ist. Ich bin Juristin, wissen Sie.“

Dasselbe sagt Frau Streeruwitz im Interview, mit Klarnamen des Kandidaten Hofer, versteht sich, sie zitiert ihre wahren Erkenntnisse lieber noch einmal selber, damit ja kein Leser vielleicht nicht mitbekommt: Frau Streeruwitz hat Angst.

Sie hat Angst, wenn Hofer Bundespräsident wird. „So wird das Leben“ soll eine Warnung, eine Mahnung sein, beinhaltend, daß sie als Kassandra vorausgesehen hat, wie nach der Machtergreifung alles Unheil langsam aber stetig seinen Lauf nimmt.

Da treten „die Identitären“ auf, in der Rolle der SA, „die Burschenschafter“ in der Rolle der Strippenzieher im Hintergrund des allmächtigen Präsidenten, „die zwei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingsbuben“ in der Rolle der jüdischen Kinder, die versteckt gehalten werden müssen usw. usf. – der Roman hat irgendwie eine historische Vorlage …

Was passiert eigentlich, wenn die „Rechtspopulisten“ die Macht übernähmen? Was glauben Linke? Ich diskutierte gestern mit jemandem, der in die Runde fragte: „Na, was glaubt ihr, was die Leute da denken?“ Ich, wie aus der Pistole geschossen: „Ethnische Säuberungen!“ Das jedenfalls glaubt H ernsthaft, und wie ich erfuhr, ein alter linker Freund des Fragestellers ebenfalls. Ich kann hinzufügen: übrigens, Pogrome sind nicht geplant bis auf weiteres ….

Diese Szene hatte ich vor zwei Monaten kurz geschildert unter „Vermischte Bemerkungen“, da muß sie jetzt raus, denn derart Absurdes hat offensichtlich literarischen Rang erlangt.

Streeruwitz verwurstet just solche „irrationalen Ängste“, die ja stetig und anschwellend dem rechten Denken und Wählen unterstellt werde, nur mit umgekehrtem Vorzeichen. Ein Paradestück der Projektion!

Was genau macht ihr solche Angst? Im Roman kann es ja dunkel dräuend bleiben, Anspielungen genügen, der Leser macht sich von alleine seinen Reim, hat er doch seit frühen Jugendjahren einschlägige Vergangenheitsbewältigungsliteratur  und -filme intus.

Ich zähle auf, was im Interview an angsteinflößenden Streeruwitz zufolge unweigerlich eintretenden politischen Entwicklungen genannt wird:

„die völkisch-nationale Anordnung der Rechten“ statt der „Demokratie, die wir kennen“

„es wird die Solidarität aufgegeben“, zwischen „Staatsbürgerschaften getrennt“

„stiller Staatsstreich“ dank der „Verfassungsnovelle von 1929“

„mit dieser rassistischen Religionsauffassung beginnt eine Zurichtung des Staatsbürgers“

dann ist der „mittelalterliche Zustand erreicht, daß bestimmte Personen bestimmte Dinge anziehen dürfen oder nicht“

„Hofer und die FPÖ wollen ja herrschen, die demokratischen Parteien sollten aber vertreten wollen“

„unwiederbringlich ständestaatliche Organisation“.

Das alles klingt schlimm, sehr schlimm, indes: es ist reine Projektionsnovellistik. Die Novelle als Genre ist die „unerhörte Begebenheit“, einen gewissen Grusel und eine gewisse Schaulust setzt sie voraus und in Gang. Die Autorin projiziert zuerst einmal ihre aktuellen Ängste auf die historische Situation. Es wiederholt sich alles in Kleinformat, was nach der Machtergreifung 1933 dann abgelaufen ist, ganz pfiffiges Strickmuster für einen Roman, zugestanden, aber politisch ausgesprochen gefährlich – an genau dieser Stelle hat literarische Ästhetisierung propagandistische Funktion.

Wirklich grotesk ist ihre Vorstellung, daß in der Geschichte der zweiten Republik kein Mensch gemerkt hat, wie gefährlich der Ermächtigungsvorbehalt des Präsidenten in Wirklichkeit ist, weil bisher immer nur nette Demokraten das Amt innehatten. Die Gefahr dieses in den Tiefen der österreichischen Judikatur verborgenen Mechanismus‘ ist „offenkundig nur den Leuten bewußt, die ein Begehren haben, diesen Staat wirklich umzukrempeln“ – und Frau Streeruwitz selber! Sie projiziert also ihre Revolutionsphantasien („Es geht um eine andere Form der Revolution“) in die Köpfe von Norbert Hofer und der FPÖ-Wähler. Ich gehe jede Wette ein, daß die FPÖ sowas von keinerlei revolutionäre Pläne hat, ist sie doch eine etablierte österreichische Volkspartei, das sagt alles.

Das „Ständestaatliche“ ist eine österreichische Spezialität der Jahre 1933-38, Wikipedia definiert: „der Ständestaat ist ein nach Berufsgruppen (altertümlich „Stände“ genannt) organisierter Staat ohne politische Parteien und demokratisch gewähltes Parlament, jedoch mit einer den Staat tragenden weltanschaulichen Bewegung“.

Die Romanautorin wird nicht müde, den Ständestaat heraufzubeschwören, es kann nur beschwörend funktionieren, denn politisch ist aktuell keine irgendwie sinnvolle Rede von „Ständen“ denkbar (und die „den Staat tragende weltanschauliche Bewegung“ ist genauso links und grün und „friedlich demokratisch“, wie es Streeruwitz gerne hat). Also reicht auch eine unsinnige Rede: “ es gibt dann Gruppen oder Stände, die im Staat miteinander verhandeln müssen“ – hm, Gruppen ja wohl definitionsgemäß in Demokratien immer, und diese dann „Stände“ zu nennen, speist sich einzig und allein aus Streeruwitz‘ Vorstellung, daß „das Ständestaatliche“ der „friedlichen Demokratie“ diametral entgegengesetzt wäre. Da dreht sich etwas im Kreise.

Eine kleine feine Fehlleistung ist, daß das demokratische Prinzip, wenn es verloren ginge, „unwiederbringlich ständestaatliche Organisation“ nach sich ziehe. „Unwiederbringlich“ bedeutet: leider ging sie uns verloren, die gute alte ständestaatliche Organisation, Streeruwitz meint wohl „unweigerlich“.

Frau Streeruwitz sei zur Beruhigung eindringlich versichtert: „so“ wird das Leben nicht. Weder, wenn van der Bellen gewinnt, no na net, noch, wenn Hofer gewinnt. In ersterem Falle bleibt das Lesepublikum ihrer Angstnovelle in seiner selbstbeweihräuchernden anheimelnden Sicherheit, „es“ noch einmal verhindert zu haben, in zweiterem Falle wird recht schnell klar werden, wie groß die Enttäuschung der linken Wiedergängergruselromanleser sein wird, wenn „er“ nicht hält, was sie sich von ihm alles versprochen haben.

 

 

Gestern in Berlin

Meine Heimreise aus dem Urlaub im Brandenburgischen führte mich über Berlin Hauptbahnhof. Dort wollten H und die Kinder asiatisch essen, aber auf der Reichstagsseite des Bahnhofs schlug mir das hier unvermittelt auf den Magen:

gun_man_berlin

Etwa 30 Skulpturen von fratzenhaft verzerrten übermannsgroßen Wölfen, dazwischen Ständer mit Aufklärungsplakaten über „Rassismus“, „rechte Hetze“, „AfD und Pegida“, „Hass“, „Populismus“ usw. usf.. Als ich las „Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf“, verstand ich auf der Stelle, worum es ging: die anthropologischen Grundannahmen rechten Denkens durch übelste Propaganda im Stürmer-Stil auf einem riesigen öffentlichen Platz zu desavouieren. Mein Ältester meinte, darüber aufgeklärt, was mich daran denn so aufbringe, sarkastisch zu mir: „Mama, die Nazis sind jetzt die neuen Juden“. Mit jetzt mehr Wut als Hunger im Bauch ging ich auf einen dick gepanzerten Polizisten zu, der da Wache schob.

„Guten Tag, entschuldigen Sie, können Sie mir sagen, wer diese Ausstellung erlaubt hat?“

„Weeß ick nich‘.“

„Aber so eine Veranstaltung muß doch jemand angemeldet haben.“

„Dat könnse machen, zahlnse halt viel Jeld für und dann könnse machen, wat se wolln.Ick steh hier aber nicht für dat, sondern wegen die Demo da hinten. Dat hier is halt Kunst.“

„Ich denke nicht, daß das Kunst ist, das ist Propaganda.“

„Kunst darf allet!“

„Es gibt Grenzen der Kunst, aber danke schön.“

So zog ich zur „Diskutierecke“ (scheußliches Wort) und sprach einen freundlichen Normalbürger an, der nebst einem repräsentativen Flüchtling dort ebenfalls Wache schob (denn daß er zum Diskutieren da stand, konnte im folgenden nicht bestätigt werden).

„Hallo, entschuldigen Sie, können Sie mir sagen, wer diese Ausstellung erlaubt hat?“

„Wieso erlaubt?“

„Je nun, so eine politisch stark tendenziöse Kunstausstellung im öffentlichen Raum muß doch genehmigt werden.“

„Die Bundesregierung glaub ich. Aber was gefällt dir denn daran nicht?“

„Ich halte die öffentliche Diskreditierung rechter Positionen für gefährlich. Und die ästhetischen Mittel, diese Wölfe wie Nazipropaganda-Karikaturen, und diese „Aufklärungsplakate“ *gänsefüßchenzeig* finde ich fragwürdig.“

„Dann bist du aber die einzige, der das hier nicht gefällt. Kannste ja gerne sagen, aber du bist die einzige.“

„Ja, weil der Mainstream inzwischen linksradikal ist, und solche Darstellungen für normal hält, und nicht mehr diskutiert.“

„Wir sind doch tolerant und diskutieren mit Dir. Und Du kannst auch gerne was auf unsere Tafel schreiben, das steht jedem offen.“

Ich ließ den toleranten Herrn stehen und schrieb auf die Tafel unter die vorgegebene Frage: „Was können wir tun, um den Hass zu stoppen?“ zwischen lauter Peacezeichen und „Hate racism“-Slogans und „Tolle Ausstellung“-Affirmationen meinen eigenen Text:

„Falsche Fragestellung! Haß ist eine anthropologische Konstante. Gruppen oder Länder mit homogenerer Zusammensetzung tendieren zu weniger „Hass“. Für eine tiefere Auseinandersetzung empfehle ich: sezession.de“

Nach frisch getaner Tat ging ich zur essenden Familie zurück, aber dann hörte ich Sprechchöre, wieder auf zu essen, und wurde hellhörig. Ganz weit hinten in einer Straße näherte ich ein Zug von etwa 20 Leuten, mit einschlägigen rechten Fahnen. Ich ging wiederum zu einem der (migrantischen) Polizisten und fragte, wer diese Leute dort seien. „Bärgida, die Berliner Gruppe von Pegida“ war die Antwort. „Ach gut, endlich jemand, dem außer mir diese Ausstellung auch nicht gefällt“, meinte ich zum verwirrten Polizisten.

Als ich „Bella Ciao“ aus dem Recorder krächzen hörte, wußte ich, die Antifa war wie bestellt vor Ort. Klar, deren Banner waren unverkennbar, das Megaphon auch, das Aussehen auch (Karikatur: bunter Goa-Style oder schwarze Hoodies, Rasta oder Glatze).

Staunend in diese abgesperrte Szene vertieft, rief H mich zurück, wir verpassen sonst den Zug!

Später erfuhr ich zu meinem Schrecken, was für Fahnen die Bärgida-Leute (Karikatur: feist, tumb, kahl) spazierentrugen: rot-weiß-schwarz ist quasi das stand-in für you-know-which-flag, und die anderen waren Phantasiefahnen mit Elementen der Reichskriegsflagge!

Nein, nein, und nochmal nein! Entweder sind das wirklich Trotteln vor dem Herrn, die genau das bestätigen, was die Ausstellungspropagandisten voraussetzen: Rechte sind gefährliche Nazis, NPD-Hanseln, Skinheads. Oder es sind bestellte Weißbrötchen. Karikatur gegen Karikatur, das allemal.

Es ist so unendlich ärgerlich, schade, vergeblich, sich gegen solche „Kunst“ zu versuchen zu wehren, wenn einem solche Leute alles verderben. Man glaube ja nicht ernsthaft, daß jemand meinen Leseempfehlungen am Plakat nachgeht …

 

 

 

Linke Kreuzzugshetze

There is a war between the ones who say there is a war, and the ones who say that there isn’t“ (Leonard Cohen)

Nachdem ich annehmen darf, daß die allermeisten Leser hier das „Neue Deutschland“ aus gutem Grund nicht regelmäßig lesen, erlaube ich mir den folgenden Kommentar komplett hineinzukopieren (er ist ohnehin in der Onlineausgabe offen zugänglich).

Unter der Überschrift „Rechtsradikale Todesengel“ schreibt Velten Schäfer:

Unlängst ließ ein gewisser Meinungsträger vom Stapel: Am liebsten würde der »Islamische Staat« in Deutschland linksgrüne Volksversiffer an die Macht hieven. Dann stünde das Land wehrlos vor der Eroberung. Nun, da die grausige Terrortruppe symbolisch in den Vorwahlkampf eingegriffen hat, muss man sich den Unsinn dieser Behauptung noch einmal vor Augen halten. Der »IS« ist erstens selbst rechtsradikal – gegen individuelle Freiheit, für überkommene Herrschaftsverhältnisse. Nichts braucht er zweitens so sehr wie den Sieg der Rechten in Europa. Den Triumph des Rassismus, der Antichristen à la Warschau und Budapest. Nur als Gegner eines imaginierten Kreuzrittertums ist er stark. Er will »den Westen« nicht von innen erweichen, sondern zu maximaler Härte provozieren. Dass dies gerade Muslime trifft, ist ihm egal. Fast alle derselben gelten den Todesengeln aus der syrisch-irakischen Hölle ohnehin als räudige Sünder. Nicht »Gutmenschen« besorgen nolens volens sein Geschäft, sondern Rechtsausleger, die jetzt etwa ein Asylmoratorium gegen Muslime fordern. Oder Pseudolinke, die gegen »Islamversteher« hetzen. Bekämpft wird der IS dagegen von allen, die das Kreuzzugphantasma durch Nächstenliebe durchkreuzen und für ein Ende aller Aktivitäten stehen, die den Syrienkrieg verlängern.Diese klare Haltung wird man noch brauchen in den kommenden Monaten. Denn der IS weiß leider, wie seine unfreiwilligen Bataillone zu alarmieren sind.

Dieses Argument ist in seiner moralischen Hinterhältigkeit kaum zu überbieten. Also lohnt es sich, es auseinanderzunehmen. Mal schauen, was davon übrig bleibt.

Die logische Struktur geht ungefähr so: Jemand beobachtet das Szenario: der IS führt Krieg gegen „den Westen“. Im Westen gibt es offenbar keinen satisfaktionsfähigen Kriegsgegner. Einen Krieg kann man nur gegen einen Gegner führen. Also muß ein Gegner her. Der IS hätte es am leichtesten gegen einen nicht satisfaktionsfähigen Gegner („linksgrüne Volksversiffer“, décadents). Er darf sich diesen Gegner nicht wählen. Wenn der IS ein schwaches Europa „von innen erweichen“ und „erobern“ würde … ja, was dann? Dann müßte der Beobachter seinen Beobachterstandpunkt verlassen und sich deklarieren, ob Europa mächtig oder ohnmächtig sei. Der Beobachter kann die Differenz Macht/Ohnmacht nicht gebrauchen, ohne für den Positivpol „Macht“ zu optieren (andernfalls müßte er die zumindest stark kontraintuitive Annahme machen, Ohnmacht sei positiv zu bewerten. Dergleichen Positionen gibt es, Stichwort: „Volkstod“, aber als Kriegsberichterstatter würde ihm das Szenario, auf das sein Argument hinausläuft,  wegrutschen). Es kann also nicht sein, was nicht sein darf. Das Argument „daß nicht sein kann, was nicht sein darf“ ist logisch nicht plausibel. Also muß es gestützt werden durch ein Meta-Argument. Und weil es da nun wirklich kein haltbares gibt, kommt er fürderhin ohne Argument aus und langt in die ideologische Schublade: Der IS ist rechtsradikal! Touché!

Ideologieverwalter, die eine nonkonforme Meinung bekämpfen wollen, brauchen keine Argumente, sie müssen die betreffende Meinung lediglich als ‚böse‘, zum Beispiel „rassistisch“ etikettieren, um sicherzustellen, daß sie von der Mehrheit der Gesellschaft abgelehnt wird. Sie können sogar das (…) Sinndefizit moderner Gesellschaften ein wenig ausgleichen, daß sie das „Böse“ zur apokalyptischen Bedrohung, und den Kampf dagegen, also den „Kampf gegen Rechts“ zum modernen Kreuzzug aufblasen. (Manfred Kleine-Hartlage, Die liberale Gesellschaft und ihr Ende, S. 125).

Durch die infame Gleichsetzung IS=Rechte hat der Beobachter drei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: erstens hat der IS jetzt einen würdigen Gegner verpaßt bekommen, puh, Glück gehabt, muß man sich selbst nicht die Hände schmutzig machen, zweitens kann er seinen Beobachterstandpunkt selber als „gut“ markieren, und damit den „Kampf gegen das Böse“ als doppelten Kreuzzug inszenieren, und überdies auch noch mit der Metapher „Kreuzzugsphantasma“ seine eigene Position der „Nächstenliebe“ (!) davon freihalten.

Wer also behaupten will, die Christenheit müsse gegen den Islam kämpfen, spiele dem IS nicht nur zu (dieses Argument ist inzwischen genug strapaziert in der Variante: wer sich von Terrorangst anstecken ließe, gebe dem IS genau, was er erreichen wolle), sondern der wäre auch in Wirklichkeit Teil des „unfreiwilligen Bataillons“ des Islams.  Zweifache Verunglimpfung: wer dies sagt, ist nicht nur rechtsextrem, sondern auch noch islamistisch!

Das ist kein Argument mehr, sondern pure Ideologie. Ich hatte freilich nicht erwartet, im „Neuen Deutschland“ keine Ideologie vorzufinden, bestürzend an dieser Interpretation ist also nicht die logische Inkonstistenz, sondern, daß mit solchen ideologischen Sprengsätzen allen EU-Gesetzen und staatlichen Maßnahmen gegen „Extremismus“ (vom „Toleranzgesetz“ bis zu „hate-speech“-Verboten und Internetdenunziationsmaßnahmen) der Boden bereitet wird (von denen der Linksextremismus bekanntlich ziemlich unberührt bleibt).

Wenn die Öffentlichkeit anfängt zu glauben, daß „Rechtspopulismus“ und „islamischer Fundamentalismus“ als gleichwürdige Kriegsgegner um Europa kämpfen, und das „Gute“ darin bestehe, diesen Krieg mit entrüstetem Kopfschütteln zu beobachten, dann hat die Linke wirklich etwas erreicht: dem Islam, der sich nämlich beileibe nicht dafür interessiert, ob seine Gegner „links“ oder „rechts“ sind, durch die eigene Option für den Pol „Ohnmacht“, die Türe zu öffnen. Wer dann den Kampf ausficht, dürfte klar sein: derjenige, der überhaupt sieht, daß es einen Kampf gibt.

Reinheitsphantasien am WC

Heinzelmaiers Adlatus kann es auch (siehe: Heinzlmaier und die rohen Männer). In der Augustausgabe des Magazins NEON wird Philipp Ikrath, der gemeinsam mit Reinhard Heinzlmaier die „Generation Ego“ erfand, interviewt, Thema: Junge Rechte.

Ikrath versucht allerdings, mit einem total konträren Suchbegriff des Phänomens der jungen Rechten Herr zu werden. Sprach sein Doktorvater von den jungen rechten Männern als bösen rohen Wilden, die im Prozeß der Zivilisation nicht mitgekommen seien, hält Ikrath sie für hyperhygienische Spießer.

Man könnte sagen, die Welt dieser Spießer riecht wie ein gerade frisch geputztes WC. Da ist alles frisch, alles rein, da gibt es nichts Gefährliches.

Adornos „autoritärer Charakter“, auf den sich Ikrath bezieht, ist nicht von ungefähr ein Abkömmling von Freuds „analem Charakter“: der Zwang zur Anpassung, übertriebene Pünktlichkeit, Ordnung, Sparsamkeit,  Genauigkeit und Eigensinn vereinen sich in einer Figur, die sich vor „denen da oben“ fürchtet, und diese Angst zwanghaft abführt, indem sie „die ganz unten“ tritt. Mit diesem Erklärungsmuster tritt er an die Rechten heran und findet wenig überraschend: den Spießer.

Hätten wir längst totgeglaubt, Ikrath eigentlich auch, Reihenhaus, Karopullunder und Golden Retriever kommen auch gleich in die Lade, aber Helene Fischer kommt aus der Lade wieder hervor als Verkörperung des aktuell Spießigsten. Hm, was haben FPÖ- und AfD-Wähler mit Helene Fischer gemein?

Im Kern ist der Spießer eine Person, die sich an den herrschenden Zeitgeist zumindest anlehnt.

Jeder Mensch lehnt sich an den herrschenden Zeitgeist irgendwie an, Ikraths Definition ist also zu weit. Spannend werden dann die Implikationen der Spießerdefinition: der Spießer ist Mitläufer, der Mainstream ist also auf eine diffuse Weise „rechts“. Soweit sind wir also schon gekommen. Ikraths Metapher aus der Astrophysik der Sternentstehung (He Leute, frohlocket, da entsteht ein Stern!) ist die „neoliberale Gassphäre“, in deren Mitte sich ein Kern verdichtet habe, der die alten Rollenangebote wieder zurückhaben möchte.

Ikrath ist ganz in der Spur vom flamboyant unehrenhaften Heinzlmaier, wenn er Frauen als weniger verführbar für die „Machtrhetorik rechter Parteien“ sieht, weil sie zum Glück „eher zur Versöhnlichkeit erzogen“ worden wären. Das widerspricht allerdings seiner eigenen Spießerthese, denn der Spießer ist ja absolut versöhnlich und sozial zwanghaft angepaßt. Was denn nun? Wilde Machtphantasien oder Reinheitsphantasien am WC?

Die Interviewerin, Eva Reisinger, stellt ihm eine unglaublich implikationenerzwingende Frage: „Ist es heute legitimer, rechts zu sein als in den 30er Jahren?“

(Wenn ja, hah, wir sind noch übler dran heute als damals, als die Nazis aufkamen, wenn nein: Rechtssein ist illegitim!).

Und der Jugendforscher springt über das Stöckchen und meint dazu, es sei „definitiv enttabuisiert“ worden!  Die Kornblumendebatte hätte sich damit erledigt, in den 30er Jahren war es definitiv legitim (sagen wir: Anhänger der Zentrumspartei und der Deutschnationalen waren „rechts“), nur die NSDAP war phasenweise illegal. Damals also kein Tabu, heute noch weniger. Interessant, wirklich interessant.

Die linke Jugendforschung sieht das Problem, interpretiert sogar Studien (Wertestudie 2011: 64% sehen ihre eigene Zukunft positiv, nur 22% sehen die Zukunft der Gesellschaft positiv) absolut richtig.

Viele haben die gleiche Einstellung wie Margaret Thatcher damals: dass es keine Gesellschaft gibt, sondern nur eine Ansammlung von Individuen. Wenn man mit dieser Denkweise aufgewachsen ist, ist das Ergebnis nicht mehr so paradox. Dann kann man auch im Orchester der sinkenden Titanic noch seinen Spaß haben

Eine Jugend, die keine Identität mehr hat, wird entweder hedonistisch, hat also zumindest oberflächlich keine Identität mehr nötig, sondern nur noch Spaß, oder sie sehnt sich zunehmend offen nach einer solchen. Wie soll die Soziologie damit umgehen? Substanzbegriffe wie „Herkunft“ hat sie aussortiert, die komplexe digitalisierte Moderne darf man nicht mehr mit „analogen“ Antworten vereinfachen, meint Armin Nassehi, und wer es doch tut, macht sich der Komplexitätsreduktion schuldig (das ist die zentrale These seines Buches: Die letzte Stunde der Wahrheit, 2015).

Wie gehen wir mit jungen Rechten um, die sich entweder theoretisch oder lebenspraktisch einen feuchten Kehricht darum scheren, ob sie unzulässige Komplexitätsreduktion betreiben? Wir müssen das als Bedrohung verstehen, und als Wissenschaftler bietet sich da eigentlich nur eine einzige Waffe an: Diffamierung.

Ikraths „Erklärungen“ des Phänomens der Rechtswähler kommen aus der Mottenkiste der Ideologiekritik (autoritärer Charakter! Spießer! anale Reinheitsphantasien!). Solange die Identitären (als wirkliche Jugendbewegung) für Ikrath noch unpolitisch parallelisierbar sind mit einem sowas von unbedrohlichen Jugendphänomen, den Hipstern („regional einkaufen, handwerken, basteln“ tun sie ja beide gern, behauptet er – ich kenne keine Identitären, die das mögen :-)…), kann er sie kulturell erklären. Politisch versagen dem Jugendforscher die Kräfte, da kommt nur noch die übliche Polemik: „rechtsextrem“, „völkisch“, „Blut- und Bodenmentalität“.

Der vermeintliche verhinderte Spießer kann seine WC-Ente stecken lassen und losziehen um den Jugendforscher zu verunsichern: der Faschismus stehe plötzlich der Faschismusforschung gleichberechtigt gegenüber – das ist schon eine größere Nummer.

 

 

 

 

 

 

Die kluge und die dumme Diffamierung

Was muß  die rechte Wählerschaft (ich denke jetzt nicht an eine publizistische Gegenöffentlichkeit, nicht an exponierte Politiker, nicht an Aktivisten, Trolle oder sonstige Figuren, die bewußt ihren Kopf hinhalten) sich an Schmähungen gefallen lassen?

Die ganz normale Hälfte der österreichischen Bevölkerung, das ganz normale Viertel der deutschen Bevölkerung, wofür darf man sie halten? Ich unterscheide vier Arten der Diffamierung, ihrem Klugheitsgrad und ihrer Hinterhältigkeit nach aufsteigend geordnet.

1.) Rechte sind verblendet.

2.) Rechte sind dumm.

3.) Rechte sind primitiv.

4.) Rechte sind geistesgestört.

 

Ad 1.) Diese Diffamierung ist das niederschwelligste Angebot der Medien an das dünkelhafte linke Publikum. Sie geht so: „Rechtspopulisten“ (eigentlich gibt es das Wort „Populisten“ gar nicht mehr ohne „Rechts“, es ist quasi so, wie ich als Kind dachte, „Bundeskanzlerhelmutkohl“ wäre ein einziges Wort), also „Rechtspopulisten“ haben das Volk verführt. „Populismus“ definiert Jan-Werner Müller in seinem Essay Was ist Populismus? so:

In einer halbwegs funktionierenden Demokratie ist es immer populistisch, wenn Demonstranten für sich beanspruchen, das Volk zu sein.

„Das Volk“ als Kollektivsingular ist also nimmer sagbar, außer man will „das Volk“ demagogisch aufhetzen für irgendeine „rechte“ Idee. Verblendet zu sein heißt aber immerhin, daß das Volk auch noch mal erlöst werden kann durch (eher selbsternannte) Aufklärer. Volksaufklärung macht auch vor staatlichen Organen nicht halt, es besteht akute Gefahr, daß auch sie verblendet sein könnten, warnt der heutige STANDARD (und platziert gleich mal zwei Denunziationsadressen gegen Rechts, die ich nicht verlinke):

Der wichtigste Punkt im Regierungsplan dürften aber „Sensibilisierungs- und Fortbildungsprogramme für Polizei, Staatsanwaltschaften und Gericht“ sein. Man erinnert sich an die Staatsanwältin, die die Bezeichnung von KZ-Häftlingen als „Landplage“ durchgehen ließ.

Verblendung als Diffamierung nimmt die rechten Wähler zwar nicht für voll, immerhin haben sie sich verführen, aufhetzen, aufwiegeln lassen, aber sie unterstellt ihnen keine charakterlichen oder menschlichen Defizite – verführbar ist schließlich jeder mal.

Ad 2.) Dummheit ist schon schlimmer als Unterstellung. Wer dumm ist, dem

hilft (man), indem man ihn fragt, ob er irgendwo dagegengerannt ist. Und dann drückt man ihm die „Kinderwelt von A bis Z“ in die Hand, damit er sich schlaumachen kann.

Das ist die Umgangsweise mit Hoferwählern, die im Falter (No. 26) von Klaus Nüchtern empfohlen wird. Interessant ist es schon, durch die Welt zu gehen und den eigenen IQ, den eigenen Doktoratsabschluß oder die eigene Publikationsliste zu kennen, rechts zu wählen und zu denken, und mit dem Dummheitsvorwurf konfrontiert zu sein. Es könnte sein, daß „Dummheit“ in Wirklichkeit nur bedeutet: der Gegenüber hat eine Ansicht oder ein Weltbild, das dem meinen nicht entspricht. Ging mir so mit dem Spruch: „Die FPÖ hat doch keine Lösungen!“ Doch, hat sie, nur nicht solche, die dem Sprecher passen. Dummheit kommt als Diffamierung gern zusammen mit dem Primitivitätsvorwurf.

Ad 3.) Besonders „rohe Männer“ sind in den Augen linker Intellektueller offenbar typische Rechte, siehe mein Beitrag zu Heinzlmaier und die rohen Männer. Wer rechts wählt, ist von Trieben gesteuert, von Testosteron, von archaischen Vorstellungen (Frauenbild! Autorität! Burschenschaften! Katholizismus! Stammtisch!). Für seine Biologie kann der Mann nichts, der arme. Und wenn rechte Männer sich auf diese berufen, heißt das in der Sprache der Diffamierung „Biologismus“. Über den Biologismus ist der Kulturalismus meilenweit erhaben, insofern Biologismus eine „soziale Konstruktion“ sei, sagen die Kulturalisten, Kulturalismus natürlich ebenfalls, während Kulturalismus dessen eingedenk sei, sei es der Biologismus nicht, stelle also eine primitive, unterkomplexe Weltsicht dar.  Zum Primitivismusvorwurf gehört eng verwandt der Vorwurf des unterkomplexen Denkens. Die Moderne ist wie auch immer komplex verfaßt, und rechte Antworten auf die Moderne versprächen vereinfachend (siehe ad 1.) Dummheit) „Komplexitätsreduktionen“. Dazu bleibt zu sagen: Biologismus (oder ohne Diffamierungsunterton: biologischer Reduktionismus) ist eine verhältnismäßig schwierige (auch schwierig durchzuhaltende!) philosophische bzw. evolutionstheoretische Position. Und Komplexität reduzieren tun wir doch alle, sonst kämen wir nicht durch den Tag. Die Dummheitsunterstellung reduziert die Wahrnehmung des politischen Gegners jedenfalls außerordentlich.

„Pervers“ gehört auch noch in diese Schublade der Schmähungen (oder auch schon einen Zacken schärfer ad 4.). Dazu fand ich ein echt mieses Ding, ebenfalls im Falter No. 26, betreffend den britischen Ex-Premier David Cameron, der eher cuckservative als wirklich rechts ist. Der aber dennoch nicht verdient hat, daß der Journalist Brian Melican ihm ziemlich wortreich die Geschichte hinterherträgt, er habe als Initiationsritual seiner studentischen Verbindung als junger Mann seinen Penis in das Maul einer toten Sau stecken müssen, Unterton: so pervers sind die Konservativen, und *schenkelklopf*, jetzt gerade habe er ja nimmer solches Schwein. Es erübrigt sich zu erwähnen, auf wen die Perversionsunterstellung schließlich zurückfällt.

Ad 4.) Pathologisierung – die fieseste, hinterfotzigste, am schwersten zu widerlegende Diffamierung. Damit auch die klügste. Manchmal kommt sie in höchstem Maße dumm rüber:

Hoferwähler in den Arm nehmen und ihnen was von Liebe erzählen

wird dem 5/8erl-in-Ehr’n-Leadsänger Max Gaier zugeschrieben. Ähnlich rennt der alte Ärztesong, in dem es heißt

Deine Gewalt ist nur ein stummer Schrei nach Liebe, deine Springerstiefel sehnen sich nach Zärtlichkeit … Arschloch!

Zu wenig geliebt worden zu sein als Kind führt dieser Logik zufolge ins rechte Lager. Im öffentlichen Diskurs einer therapeutischen Gesellschaft ist man überaus offen für psychologische Herleitungen furchteinflößender Phänomene. Linke legen Rechte gern auf die Couch und diagnostizieren dann „Empathiedefizite“, „Angststörungen“, „Paranoia“, „Abstiegsängste“, „Xeno-, Homo- oder Islamophobie“. Versuche einer mal, im Gespräch mit einem linken Psychoanalytiker dessen Diagnose: „Du bist doch nur gefangen in einer Angstspirale!“ argumentativ ad hoc zu widerlegen, ohne sogleich mit „Abwehr, alles Abwehr!“ beschossen zu werden.

Empathiedefizite sind auch tricky: der Unterstellende tut meist leidend, verspürt die mangelnde Empathie des rechten Gegenübers schon schmerzlich am eigenen Leibe, rutscht dann auf dem slippery slope entlang („Du verachtest mich, wie du alle Fremden und alle Menschen verachtest, so eine fremdenverachtende und menschenverachtende Ideologie ist das, bald werdet ihr auch mich und meinesgleichen vernichten und ausrotten!“) um am Ende der Diffamierung mit seiner eigenen Empathiefähigkeit („Menschlichkeit, nur ein klein bißchen mehr Menschlichkeit und Herz!“) triumphal davon zu ziehen.

Richtig klug ist folgende Diffamierungsargumentation: Es sei ständig davon die Rede, daß man die „Ängste der Bevölkerung endlich ernstnehmen müsse“. Diese Ängste seien irrational und paranoid, und die therapeutische Gesellschaft begegne ihnen so, wie sie nun mal nicht umhin kann: verständnisvoll, zuhörend, pädagogisch. Damit würde rechtes Denken und vor allem in dieser pathologisierenden Sichtweise: rechtes Fühlen, gleichgestellt mit linkem Denken und Fühlen. Das dürfe man allerdings bloß nicht tun, argumentiert Clemens Setz in der ZEIT, Gleichberechtigung sei Anerkennung des – schließlich doch pathologischen – rechten Denkens (er schlägt so nebenbei eine Obergrenze für Rechtspopulisten vor). Man dürfe es nicht ernstnehmen, gerade weil es irrational und gestört sei. Setz geht dann rhetorisch auf sich selber und seine ja doch nur allzumenschlichen eigenen irrationalen Ängste zurück, um seine Überlegenheit (!) im Diffamierungsgestus zu präsentieren.

Ich erwarte von meinen Mitmenschen, dass sie sich überlegen, ironisch, ja sogar „elitär“ und nicht geduldig-pädagogisch gegenüber meinen irrationalen Ängsten verhalten. Ich habe solche ja immer wieder. Und ich hätte keine davon je überwunden oder abgeschüttelt, hätte man mich, aus welchen Gründen auch immer, „endlich einmal vollkommen ernst genommen“. Clemens J. Setz in der ZEIT

Zurückschimpfen? Zurückpathologisieren? Gegenunterstellungen?

Wahrscheinlich haben die Rechten weder den nötigen Durchblick, die nötige Intelligenz, die nötige Kultur, noch die nötige seelische Gesundheit, um das zu schaffen. Gottseidank.